Politik
Die neue Mauer
Berlin 15.09.2025
Es gibt keine Nation in unserer Galaxie, die frei von Rassismus und Diskriminierung ist. Diskriminierung nimmt viele Formen an, die schlimmste davon ist die Diskriminierung zwischen Menschen, die nur eine Sprache sprechen. Wir sehen dies in den heutigen Ereignissen und in unserer Beobachtung der Weltnachrichten.
Werfen wir einen Blick auf den Jemen. Er wurde 1967 in zwei Staaten, Süd und Nord, geteilt, nur um 1989 auf dem Papier wiedervereinigt zu werden. Trotz der Einheit bleibt die Bevölkerung gespalten, und die Forderungen nach einer Sezession sind lauter denn je. Der Grund dafür sind Diskriminierung und Rassismus.
Was Deutschland betrifft, so vergrößert sich trotz 35 Jahren seit der Wiedervereinigung, 40 Jahre nach der Teilung Deutschlands in Ost und West, die Kluft zwischen den Deutschen, und die Kluft ist tiefer denn je. Der Drang zur Trennung ist immer noch verborgen und wartet darauf, dass ihn jemand mit Nachdruck verkündet. Und das alles wegen Diskriminierung.
Mein ehemaliger Schwiegervater erzählte mir einmal, er hoffe, die neue Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten werde 70 Zentimeter dick und vier Meter hoch sein und aus massivem Beton bestehen. Mein Nachbar erzählte mir einmal, er habe die neue Mauer aus Glas gesehen, die fünf Meter höher sei als die vorherige.
Deutschland ist nicht wiedervereinigt.
Ein Buch enthüllt die Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland 35 Jahre nach der Wiedervereinigung
35 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung enthüllt ein neues Buch mit dem Titel „Die neue Mauer – Dialog über den Osten“ die Tiefe der Polarisierung zwischen den beiden Teilen Deutschlands – historisch und aktuell – sowie die aktuelle Spaltung durch eine „neue Mauer“ mit dem Aufstieg von Populisten, insbesondere in Ostdeutschland.
Ein Loch in den Überresten der Berliner Mauer. Der Historiker Kovalchuk, einer der beiden Interviewpartner des Buches, verfolgt das Auftreten radikaler politischer Strömungen in Ostdeutschland bis zu dessen dualer Transformation vom Nationalsozialismus über den sozialistisch-kommunistischen zum demokratisch-kapitalistischen System.
In einem neuen Buch, einem Dialog, analysieren die beiden Deutschen Ramelow (69) und Kovalchuk (58) die Situation in Deutschland 35 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. Das Buch trägt den Titel „Die neue Mauer – Dialog über den Osten“. Der Titel suggeriert nicht nur, dass die Lage nicht optimal ist, sondern die Autoren präsentieren auch eine Geschichte voller Missverständnisse, die zu einem zerrütteten Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland geführt haben. Die beiden Gesprächspartner blicken mit Sorge auf die für Sonntag, den 14. September 2025, angesetzten Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen und auf die „neue Mauer“ zwischen Ost und West, die Deutschland mit dem Ergebnis der populistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) bei der Bundestagswahl zu spalten schien, insbesondere in Ostdeutschland.
Fehler im deutschen Einigungsprozess
Diese Geschichte enthüllt Fehler im deutschen Einigungsprozess, überzogene Erwartungen im Osten hinsichtlich der D-Mark, Freiheit und Föderalismus in Westdeutschland sowie die Arroganz des Westens und ein mangelndes Verständnis für das Leben in der Deutschen Demokratischen Republik (dem ehemaligen Osten). Ramelow, der 1990 als Gewerkschafter nach Thüringen kam, erinnert sich, dass selbst westliche Gewerkschaften im Osten von vielen als „Besatzungsarmee“ angesehen wurden.
Es gibt auch erhebliche Unterschiede in der Stimmung. Für die Bewohner des Ostens brachte jeder Tag nach der friedlichen Revolution etwas Neues. „Wir vergessen oft diese Dynamik: Die Menschen wachten jeden Morgen mit etwas anderem auf, als sie abends ins Bett gingen“, sagt Elko-Sascha Kowaltschuk. „Sicherlich nicht am Rheinufer (im Westen), aber sicherlich an der Werne oder der Spree (im Osten).“ Ramelow sieht auch den starken Einbruch des Arbeitsmarktes und räumt ein: „Im Westen gab es keine Sensibilität für dieses Problem.“ Diese Erkenntnis ist nicht neu; Kowaltschuk hat wiederholt darüber geschrieben, unter anderem in seinem Buch „Die Machtübernahme“. Das Gefühl der Ausgrenzung in Ostdeutschland und die Wut über die westliche Dominanz wurden auch in Dirk Oschmanns Buch „Der Osten, eine westdeutsche Erfindung“ thematisiert, das 2023 zum Bestseller wurde.
Über die beiden Gesprächspartner des Buches: Ramelow und Kowaltschuk
Der deutsche Politiker Bodo Ramelow hatte Verwandte in Ostdeutschland und reiste seit Anfang der 1980er Jahre regelmäßig von Marburg in die ehemalige DDR, um dort im Rahmen des Grenzübertrittssystems für Bewohner der Grenzgebiete (zwischen den beiden deutschen Staaten) zu reisen. Dadurch hatte er das Gefühl, Land und Leute gut zu kennen.
Ramelow, Mitglied der Linkspartei, war früher Ministerpräsident von Thüringen (einem ostdeutschen Bundesland) und ist heute stellvertretender Bundestagspräsident der Linkspartei. Ramelow sagt jedoch: „Als ich hierher (nach Thüringen) kam, wurde mir klar, dass ich absolut nichts verstand.“
Der deutsche Historiker und Verleger Elko-Sascha Kowalczuk wuchs in Ost-Berlin in einer Familie auf, die, wie er es beschreibt, dem Staat nahestand, sich aber später davon distanzierte. Er sagt, dass er als Teenager ständig über Ereignisse in West-Berlin informiert war, von Aufführungen in Clubs bis hin zu Kinos. Elko-Sascha, der mehrere Bücher über die deutsche Wiedervereinigung geschrieben hat, fügt hinzu: „Ein Teil von mir war immer im Westen.“ Daher kann Elko-Sascha Kovalchuk als ein Westler mit östlichen Wurzeln und ein Ostler mit westlicher Einstellung beschrieben werden.
Eine beunruhigende Diagnose der aktuellen deutschen Realität
Im Gespräch nähern sich die beiden Beobachter allmählich ihrer beunruhigenden Diagnose der aktuellen deutschen Realität. Kovalchuk sagt: „Viele im Westen sind sich der Tiefe des Hasses nicht bewusst, der in weiten Kreisen des Ostens gegenüber dem Westen, gegenüber den Westlern und gegenüber dem westlichen politischen System herrscht. Er ist wirklich entsetzlich.“ Aus dieser Perspektive ist es nicht schwer zu erkennen, dass Parteien wie die Alternative für Deutschland diese Unzufriedenheit ausnutzen.
Gleichzeitig prognostiziert Kovalchuk, dass die Situation im Osten lediglich ein Vorbote der zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland sei. Der Historiker sagt: „Im Osten treten viele politische Negativeffekte oder reaktionäre Tendenzen früher, schneller und radikaler auf als anderswo. Dies hängt mit der Erfahrung des doppelten Übergangs (dem Übergang vom Nationalsozialismus zum Kommunismus und dann vom sozialistisch-kommunistischen zum demokratischen Kapitalismus) zusammen, über den wir gesprochen haben. Aber alles, was im Osten geschieht, geschieht irgendwann auch im Westen, wenn auch später.“
Kovalchuk geht auch auf die „neue Mauer“ ein, die Deutschland aufgrund des Ergebnisses der AfD bei der Bundestagswahl zu spalten schien. Er sagte: „Wenn wir unsere Ergebnisse auf die Zweitstimmen (bei der Parteiwahl) stützen, stellen wir fest, dass der Osten blau geworden ist (das Logo der AfD).“ Die beiden Gesprächspartner warten gespannt auf die für den 14. September 2025 in Nordrhein-Westfalen angesetzten Kommunalwahlen.
Ein rund 240 Seiten umfassendes „Küchentischgespräch“
Das Ungewöhnliche an Ramelows und Kovalchuks Analyse ist ihr Format – ein 240 Seiten umfassendes „Küchentischgespräch“ mit unzähligen Aspekten. Mal geht es um die sprachlichen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, mal um die Feierlichkeiten zum Erwachsenwerden der Familie und das Gesundheitssystem, mal um die unterschiedlichen Ansichten über die USA und Russland, die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung oder die Gleichgültigkeit der Medien gegenüber dem Osten und dem Film „Das Leben der Anderen“ (der im Ostberlin vor der Wiedervereinigung und dem Leben seiner Bevölkerung unter Polizeiherrschaft spielt).
Doch wie können wir aus einem Zustand des Misstrauens und Hasses, aus einem schleichenden Vertrauensverlust und aus den Gefahren, die die Demokratie bedrohen, zu einer optimistischen Zukunftsvision gelangen? Ramelow spricht von seinem Traum einer gelebten Demokratie, die durch kontinuierliche Verbesserung erreicht wird, während Kovalchuk feststellt, dass historische Prozesse nicht geradlinig verlaufen. Am Ende des Buches wenden sich beide Europa zu. Ramelow sagt: „Die deutsche Verfassungsdebatte, die zu einer europäischen Verfassung führt, wird ein lohnendes Projekt für die nächsten Jahre sein“, während Kovalchuk hinzufügt: „Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“