Politik
Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe ahnden
Berlin 09.10.2025
– Angesichts der Zunahme von Fällen sexueller Gewalt in Konflikten, auf die zuletzt auch ein Bericht der Vereinten Nationen im August hingewiesen hat, dringen Rechtsexpertinnen auf eine wirksamere Strafverfolgung. Vergewaltigung in bewaffneten Konflikten sei Folter und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, betonte die Juristin und Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR), Beate Rudolf, am Mittwoch im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte dies 2001 offiziell anerkannt. Sexualisierte Gewalt in bewaffneten Kriegen unterscheide sich durch Umfang, Motivation und extremer Brutalität von Sexualstraftaten außerhalb bewaffneter Konflikte, so Rudolf.
Trotz der juristischen Anerkennung von Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelinge es in den meisten Fällen jedoch noch immer nicht, sexuelle Gewalt als Kriegswaffe zu ahnden und die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Sie blieben in aller Regel straflos, erklärte die israelische Rechtswissenschaftlerin Ruth Halperin-Kaddari auch gerade mit Blick auf die Hamas. Das müsse sich ändern.
Die Terrororganisation nutzte bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem etwa 1.200 Menschen ermordet und mehr als 250 verschleppt wurden, sexuelle Gewalt als „taktische Kriegswaffe“ ein, wie ein im Juli bereits veröffentlichter Bericht des von Halperin-Kaddari mitgegründeten Dinah-Projekts zeigt. Gemeinsam mit fünf anderen Rechts- und Genderexpertinnen hat Halperin-Kaddari, die als Professorin an der israelischen Bar-Ilan-Universität lehrt, den Einsatz sexueller Gewalt durch die Hamas anhand von Aussagen Überlebender sowie anhand der Ergebnisse von Untersuchungen von Leichen untersucht.
Anlässlich des zweiten Jahrestages der Hamas-Attacke, berichteten Halparin-Kaddari und Rudolf, die im Beirat des Dinah-Projekts sitzt, im Gespräch mit Abgeordneten des Menschenrechtsausschusses über ihre Motivation, die Ergebnisse ihrer Arbeit sowie ihr Ziel, die Strafverfolgung sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten voranzutreiben.
Trotz frühen Berichten und Hinweisen auf den Einsatz von sexueller Gewalt durch die Hamas sei diese vor allem in sozialen Medien oftmals geleugnet und selbst von internationalen Menschenrechts- und Frauenrechtsorganisationen, darunter die Frauenrechtorganisatin der Vereinten Nationen „UN Women“ zunächst ignoriert worden, berichtete Halperin-Kaddari. Erst durch den im März 2024 vorgelegten Bericht der UN- Sonderberichterstatterin Pramila Patten habe sich UN Women gezwungen gesehen, zu reagieren und die Realität des Einsatzes sexueller Gewalt durch die Hamas anzuerkennen. Der Report, der die Erkenntnisse einer Kommission zusammenfasste, hatte festgestellt, dass es „klare und überzeugende Informationen über sexuelle Gewalt, darunter Vergewaltigung, sexualisierte Folter, grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ gegeben habe.
Doch diese Anerkennung habe lange gedauert, kritisierte Halperin-Kaddari. Anders als in ähnlich gelagerten Fällen – wie etwa in Butscha in der Ukraine, im Kongo oder in Nigeria, wo die Terrormiliz Boko Haram seit Jahren Frauen entführt, vergewaltigt und ermordet – habe es Wochen und Monate braucht, bis die Taten öffentlich zur Kenntnis genommen und verurteilt worden seien. Die Vergewaltigungen durch die Hamas am 7. Oktober seien ein umstrittenes Thema gewesen. Ziel des Dinah-Projektes sei es deshalb gewesen, die „historischen Fakten richtig zu stellen“, betonte Halperin-Kaddari im Ausschuss.
Gleichzeitig sei es ihr und ihren Mitstreiterinnen ein Anliegen gewesen, einen Rahmen, eine Art „Blaupause“, zu entwickeln, um Täter künftig leichter zur Rechenschaft zu ziehen. Damit das gelinge, brauche es vor allem einen „Paradigmenwechsel“ in der Strafverfolgung, so die Rechtsexpertin. Bislang hielten Strafverfolger daran fest, einem spezifischen Täter eine spezifische Tat und ein spezifisches Opfer zuzuordnen. Gelinge das nicht, gebe es keinen Fall – und damit keine Strafverfolgung. Halperin-Kaddari forderte deshalb, die Beteiligung an einem Angriff zum Maßstab zu machen. Wenn Gruppen sexuelle Gewalt als Kriegswaffe nutzen, müssten sich ihre Mitglieder Kollektiv verantworten, selbst wenn sie als Einzelne persönlich nicht an Vergewaltigungen oder anderen Akten sexueller Gewalt beteiligt gewesen seien,
DIMR-Direktorin Rudolf verwies in diesem Zusammenhang auf das historische Urteil des Landgerichts München gegen den gebürtigen Ukrainer John Demjanjuk im Mai 2011. Damals war erstmalig ein nichtdeutscher Wachmann eines NS-Todeslagers von einem deutschen Gericht für schuldig befunden worden, an der Ermordung von mindestens 28.060 Juden im deutschen Vernichtungslager Sobibor in Polen beteiligt gewesen zu sein – ohne konkreten Tatnachweis. Das zeige, wie Taten in der Menge, oder wie der Dinah-Bericht es formuliere, in der „Horde“, geahndet werden könnten, so Rudolf.
Auf die Frage von Abgeordneten, was Staaten wie Deutschland konkret tun könnten, um die Strafverfolgung voranzutreiben, forderte Halperin-Kaddari die Staatengemeinschaft unter anderem dazu auf, Terrororganisationen wie die Hamas als solche einzustufen – das sei noch nicht überall der Fall. Zudem brauche es wirtschaftliche sowie persönliche Sanktionen gegen die Mitglieder der Organisation sowie ihrer Verbündeten. Die Hamas-Terroristen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, auch international.