Politik
Punktuelle Milderung der kommunalen Finanzkrise
Berlin 12.09.2025 (hib/HAU)
– Vertreter von Kommunen und Landkreisen sehen in dem Länder-und-Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetz (LuKIFG) (21/1085), mit dem die Voraussetzungen für die Verwendung von bis zu 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ durch die Länder geschaffen werden sollen, lediglich die Chance auf eine punktuelle Abmilderung der kommunalen Finanzkrise. Das wurde bei einer Sachverständigenanhörung des Haushaltsausschusses am Freitag deutlich, bei der auch über das Ausführungsgesetz zu einer begrenzten strukturellen Verschuldung der Länder (21/1087) diskutiert wurde.
Investitionsmittel lösten nicht das Problem der strukturellen Unterfinanzierung der kommunalen Ebene, machte der Kämmerer der Stadt Frankfurt am Main, Bastian Bergerhoff, deutlich. Nötig sei neben einer Neustrukturierung der gesamtstaatlichen Finanzarchitektur insbesondere eine echte Konnexität, die Vermeidung von ineffizienten Aufgabenverteilungen und der Abbau von bürokratischen Hemmnissen. Bergerhoff kritisiert zudem, dass kein Betrag festgelegt sei, den die Länder in jedem Fall an die Kommunen weiterreichen müssen.
Marco Beckendorf, Bürgermeister der Gemeinde Wiesenburg/Mark (Brandenburg), rechnete vor, dass seine Gemeinde aus dem Sondervermögen – bei einer 50-prozentigen Weiterleitung der Gelder vom Land an die Kommunen – insgesamt in den nächsten zehn Jahren 1,5 Millionen Euro erhalte. Zudem stünden Eigenmittel in Höhe von zwei Millionen Euro zur Verfügung. Der Investitionsbedarf seiner Kommune liege aber bei zehn Millionen Euro. „Da klafft also eine Lücke von 6,5 Millionen Euro“, sagte er.
Der Landkreis Sonneberg (Thüringen), so sagte Landrat Robert Sesselmann, erhalte voraussichtlich 3,5 Millionen Euro. Da es aber allein in 2025 „im Bereich des Sozialen“ einen Aufwuchs von zwei Millionen Euro gebe, „wird das Geld verpuffen“. Eine Investition werde angesichts der steigenden laufenden Kosten kaum noch möglich sein. „Die 3,5 Millionen Euro sind nur ein Tropfen auf einen heißen Stein“, sagte er.
Aus Sicht von Professorin Anna Leisner-Egensperger von der Friedrich-Schiller-Universität Jena verzichtet das LuKIFG jedoch „zurecht“ auf einen Mindestprozentsatz zugunsten der Kommunen. Die Länder treffe ohnehin eine Verpflichtung zur angemessenen Finanzausstattung der Kommunen. Angesichts eines kommunalen Defizits von knapp 25 Milliarden Euro im Jahr 2024 sei davon auszugehen, dass die Länder einen kommunalen Investitionsanteil zugrunde legen, der mindestens 60 Prozent betrage – im wohlverstandenen eigenen Interesse, „um ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung gegenüber den Kommunen zu genügen“.
Professor Jens Boysen-Hogrefe vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel hält eine Mindestvorgabe „wegen der großen Bedeutung der Kommunen für die Infrastrukturbereitstellung“ für bedenkenswert. Der unter anderem vom Bundesrechnungshof kritisierte Verzicht auf Zusätzlichkeitskriterien könnte seiner Ansicht nach hingegen die Investitionstätigkeit „kurzfristig begünstigen“. Die Mittel könnten zügig abfließen und bereits in der Planung befindliche Projekte müssten nicht wegen Finanzierungsschwierigkeiten im Zuge der allgemeinen Verschlechterung der strukturellen Lage der öffentlichen Haushalte zur Disposition gestellt werden.
Die Haushaltsautonomie der Länder spricht aus Sicht von Professor Alexander Thiele von der BSP Business and Law School dafür, die Entscheidung über die Mittelverwendung umfänglich den Ländern zu überlassen, „die sich dafür dann allerdings auch vollumfänglich politisch verantworten müssen“. Thiele konstatiert mit Blick auf die Gesetzentwürfe eine „Zerstückelung und Zerfaserung des eigentlich auf eine strikte Trennung ausgelegten Finanzverfassungsrechts zwischen Bund und Ländern“. Die verstärkte Verwischung von Verantwortlichkeitsebenen sei generell keine gute Entwicklung, befand er.
Professor Dirk Meyer von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg sprach sich dafür aus, die Zusätzlichkeit von Investitionen mit in die Regelung aufzunehmen. Der Wegfall dieser Restriktion gebe Anreize zur Umfinanzierung bereits geplanter Investitionen in das Sondervermögen, wodurch Mittel frei würden, mit denen letztendlich die Finanzierungsdefizite aus den Kernhaushalten der Kommunen, insbesondere der Anstieg der Sozialausgaben, getragen werden könnten. Faktisch würden dann Sozialausgaben aus dem Sondervermögen finanziert.
In einer Stellungnahme bedauerte der Deutsche Städte- und Gemeindebund, dass in der Regelung kein Anteil festgelegt ist, der für die kommunale Infrastruktur zu verwenden ist. Falls Verwaltungsvereinbarungen abgeschlossen werden, so heißt es in der Vorlage weiter, sei es zwingend, dass die Kommunalen Spitzenverbände zum Entwurf dieser Verwaltungsvereinbarung rechtzeitig angehört und umfassend beteiligt werden.
Dass den Ländern freie Hand gewährt werde, bei der Entscheidung, in welchem Umfang sie die Kommunen an den Mitteln beteiligen, wird auch vom Deutschen Städtetag kritisiert. Der Verzicht auf eine ursprünglich vorgesehene Absicherung der angemessenen Beteiligung der Kommunen an Mitteln des Sondervermögens sei vor dem Hintergrund der Realitäten vor Ort unbefriedigend. Eine Aufteilung müsse aus Sicht des Deutschen Städtetages „entsprechend den Anteilen kommunaler Gesamtinvestitionen an den Gesamtinvestitionen von Ländern und Kommunen erfolgen“, heißt es in einer Stellungnahme.
Die Kommunen gehen nach Aussage von Professor Hans-Günter Henneke vom Deutschen Landkreistag davon aus, „dass die Länder bei der Verteilung der Mittel den bisherigen kommunalen Investitionsanteil, der in jedem Land über 60 Prozent liegt, zugrunde legen, um auf diese Weise einen Beitrag dazu zu leisten, die weit über 8,3 Milliarden Euro im Jahr hinausgehenden kommunalen Investitionsbedarfe möglichst weitgehend befriedigen zu können“.
Professor Niklas Potrafke vom ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie hält es ausweislich seiner Stellungnahme für dringend erforderlich, „auf das Zusätzlichkeitsprinzip bei den 100 Milliarden Euro für Investitionen in den deutschen Bundesländern zu bestehen“. Die öffentlichen Haushalte würden von konsumtiven Ausgaben, insbesondere für Steuerzuschüsse in die Sozialversicherungen erdrückt. Der Gesetzgeber müsse hier dringend umsteuern und mehr Mittel aus den Kernhaushalten für investive Zwecke bereitstellen.
Eine strukturelle Verschuldungsoption der Bundesländer sei grundsätzlich kritisch zu sehen, heißt es in der Stellungnahme von Professor Alexander Eisenkopf von der Zeppelin Universität. Es komme zu höheren Risiken für die Einhaltung der europäischen Fiskalregeln, die auch über einen angepassten Rahmen für die Arbeit des Stabilitätsrates und seines unabhängigen Beirats nicht begrenzt werden könnten.