Politik
Gaza: Hilfsorganisationen kritisieren drohende Zwangsumsiedlungen und Hunger als Waffe
Berlin 21.07.2025
– Die Diakonie Katastrophenhilfe hat die Pläne der israelischen Regierung kritisiert, große Teile der Zivilbevölkerung in Gaza in einer sogenannten „humanitären Stadt“ zusammenzuführen. Dies sei gleichbedeutend mit einer „dauerhaften Zwangsumsiedlung Hunderttausender Menschen„, erklärte Martin Keßler, der Leiter der Hilfsorganisation der evangelischen Kirche. Zudem müssten internationale Verhandlungen über einen Waffenstillstand „endlich konkrete Ergebnisse erzielen, um das Sterben auf Seiten der Zivilbevölkerung und humanitär Helfenden zu stoppen“. Laut Oliver Müller, Leiter von Caritas international, wird Hunger „in Gaza ganz klar als Waffe eingesetzt“. Den Beschuss humanitärer Einrichtungen wie der in einer katholischen Kirche befindlichen Caritas nannte er einen „klaren Bruch des Völkerrechts“.
„Eine Waffenruhe darf nicht wie im Frühjahr eine kurze Pause sein, auf die eine monatelange Blockade und Kämpfe folgen. Sie muss das Leid der Zivilbevölkerung dauerhaft mindern und ihnen eine sichere Rückkehr in ihr Zuhause ermöglichen“, betonte Keßler. Andernfalls sei eine Freilassung aller Geiseln in der Gewalt der Hamas und ein Ende weiterer Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und die humanitären Prinzipien nicht in Sicht.
Eine kürzliche Einigung zwischen der Europäischen Union und der israelischen Regierung sieht eine Öffnung weiterer Grenzübergänge für mehr Hilfsgütertransporte nach Gaza sowie einen besseren Zugang zu Hilfslieferungen vor. Das könne nur ein Zwischenschritt sein, so Keßler: „Entscheidend sind nicht diplomatische Zusagen, sondern die vollständige Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen durch die israelische Regierung. Es ist nicht geklärt, wie Nahrungsmittel bedarfsgerecht und zielführend nach den Lieferungen verteilt werden. Zu oft haben wir in den vergangenen Monaten politische Versprechen gehört, um endlich humanitäre Hilfe zu leisten und die Zivilbevölkerung zu schützen. Aber zu oft wurde der Zivilbevölkerung in Gaza der Schutz und die Linderung ihrer Not verweigert.„
Seit Beginn der Hilfsverteilungen durch die „Gaza Humanitarian Foundation“ im Mai sind Hunderte Zivilisten getötet worden, da sie gefährliche Wege durch Kampfgebiete nehmen müssen und wiederholt beschossen wurden. An den wenigen Verteilungszentren kam es zu Chaos und Gewalt. „Wenn das Ziel dieses Hilfssystems humanitäre Hilfe ist, dann ist es grundlegend gescheitert. Es widerspricht den humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. Hilfsverteilungen sollen Leben retten und nicht gefährden“, sagte Martin Keßler. Die Rückkehr zu einem prinzipienbasierten Hilfssystem müsse daher eine Kernforderung der EU bei Gesprächen mit der israelischen Regierung sein.
Zwei lokale Partnerorganisationen der Diakonie Katastrophenhilfe hatten in den vergangenen 21 Monaten in Gaza Nahrungsmittel, Babynahrung und Hygienekits verteilt, psychosoziale Unterstützung unter Vertriebenen geleistet oder Bäckereien mit Mehl beliefert. „Die erschütternde Bilanz: Fünf Helfende sind seitdem infolge des Kriegs zwischen israelischer Armee und der Hamas ums Leben gekommen. 14 Familienmitglieder von Helfenden sowie vier Freiwillige starben ebenfalls. Viele weitere wurden verletzt. Die Mitarbeitenden starben dabei nicht im Rahmen ihrer Tätigkeit.„
„Wenn man morgens von getöteten Kolleginnen und Kollegen erfährt, mit denen man wenige Stunden zuvor noch zusammengearbeitet hat, dann sind Schmerz, Trauer und Angst ein ständiger Begleiter. Bei allen Helfenden in Gaza wurden die Grenzen des Ertragbaren längst überschritten. Mein tiefster Respekt gilt all jenen, die weiter alles tun, um Leben zu retten“, so Martin Keßler.
Laut UN-Angaben sind seit Oktober 2023 mehr als 400 humanitäre Helfende getötet worden.
Tote bei Angriff auf katholische Kirche
Caritas international betrauert den Tod des 60-jährigen Mannes Saad Salameh und der 84-jährigen Frau Fumayya Ayyad. Beide wurden bei einem Angriff auf die Kirche der Heiligen Familie in Gaza schwer verletzt und ins Al-Mamadani-Krankenhaus gebracht. Aufgrund des gravierenden Mangels an medizinischen Hilfsgütern und Blutkonserven in Gaza konnten sie nicht gerettet werden. „Unsere Gedanken sind bei den Familien der Opfer und bei unseren Kolleginnen und Kollegen der Caritas Jerusalem“, sagte Oliver Müller, Leiter der katholischen Hilfsorganisation.
Saad Salameh war der Hausmeister der Gemeinde, die 84-jährige Fumayya Ayyad hatte Zuflucht in einer psycho-sozialen Einrichtung der Caritas gesucht, die sich auf dem Kirchengelände befindet. „Dass Menschen, die in einer Kirche Schutz suchen und in einer Einrichtung der Caritas betreut werden durch eine kriegerische Handlung ums Leben kommen, ist der vorläufige Tiefpunkt einer Kriegsführung, die den Tod von Zivilisten billigend in Kauf nimmt“, so Müller. Er forderte ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen.
Seit Beginn des Krieges seien mehr als 55.000 Menschen in Gaza ums Leben gekommenm die meisten davon Zivilisten. „Der Beschuss der Kirche in Gaza Stadt ist ein weiterer Beweis, wie irrsinnig und wahnwitzig dieser Krieg ist“, erklärte Oliver Müller. Der Vorfall zeige, dass es in ganz Gaza keine sicheren Orte mehr gibt.
Besonders empört mich, dass das Leben der zwei Menschen gerettet hätte werden können, wenn es medizinische Hilfsgüter und Blutkonserven gegeben hätte. Es kann und darf nicht sein, dass zwei Millionen Menschen dringend nötige Hilfe vorenthalten wird. Hunger wird in Gaza ganz klar als Waffe eingesetzt. Auch der Beschuss humanitärer Einrichtungen wie der in der Kirche befindlichen Caritas ist ein klarer Bruch des Völkerrechts.