Politik
BICC plädiert für „rationale Sicherheitspolitik statt Alarmismus“
Berlin, Bonn 03.042025
„Die derzeitige sicherheitspolitische Debatte in Deutschland hat Maß und Mitte verlassen“, konstatiert das Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC). Eine verteidigungsfähige Bundeswehr und eine Verbesserung der sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit Europas seien unstrittig notwendig. Dazu gehörten sinnvolle Investitionen in eine defensive Ausstattung der Streitkräfte, die abschrecken, aber nicht weiter das Sicherheitsdilemma verschärfen sowie eine möglichst einheitliche europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Doch der derzeit verbreitete Alarmismus in Teilen der Politik und Medien ist nicht plausibel und basiert auf keiner seriösen Bedrohungsanalyse. Einige sicherheitspolitischen Experten reden sich geradezu in einen Rausch, sekundiert von nicht nachvollziehbaren Geheimdiensteinschätzungen über die aggressiven Pläne Moskaus gegen den Westen. Ohne Zweifel ist Russland eine Bedrohung für die europäische Sicherheit, und aggressive Absichten auch über die Ukraine hinaus sind nicht vollkommen auszuschließen – wenn auch als hybride Bedrohungen plausibler als klassisch militärisch. Ein nüchterner Blick auf die ökonomischen und militärischen Kapazitäten wie auch die (realisierbaren) Intentionen Russlands ergibt jedoch, dass wenig dafür spricht, dass Russland sich mit der Nato militärisch anlegen und deren Territorium angreifen könnte oder nur wollte.
Ein Russland, das große Schwierigkeiten hat, seine Ziele in der Ukraine zu erreichen, ist eine beherrschbare militärische Bedrohung. Zudem ist die Nato heute und auf absehbare Zeit in praktisch allen militärischen Belangen ungleich stärker als ihr Gegner Russland. Dies gilt selbst dann, wenn man nur die Ausgaben bzw. die Ausstattung der europäischen Staaten inklusive Großbritannien addiert. In den europäischen Armeen gibt es zugleich deutliche Schwächen u. a. bei Luftabwehr, Drohnen und Munition, die zu beheben sind – was auch Geld kostet. Ohne eine verlässliche amerikanische Sicherheitsgarantie muss sich Europa sicherheitspolitisch neu aufstellen. Auch sind moderne Gesellschaften anfällig, etwa was Angriffe auf kritische Infrastruktur oder im Cyberbereich, aber auch den inneren gesellschaftlichen Zusammenhalt, angeht.
Die derzeitig verbreitete Panikstimmung, begleitet von einer gigantischen Verschuldung für Aufrüstung, löst aber Europas Sicherheitsprobleme nicht. Wichtiger wäre, den Krieg in der Ukraine mit Hilfe kluger politischer Kompromisse über Verhandlungen zu beenden und danach auf der Basis vorhandener Stärke eine Stabilisierung der europäischen Sicherheitsarchitektur anzustreben, in der nicht nur Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, sondern auch die zweite Säule der Sicherheitspolitik – Rüstungskontrolle, vertrauensbildende Maßnahmen und Diplomatie – wieder eine zentrale Rolle spielen. Die Zeit dafür drängt – Alarmismus und Panik führen in eine gefährliche Sackgasse.
• Detlef Dzembritzki, MdB a.D. und Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN)
• Prof. em. Dr. Michael Brzoska, eh. Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg (IFSH)
• Dr. Hans-Georg Ehrhart, eh. Forschungsbereichsleiter am Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg (IFSH)
• Prof. em. Dr. Christian Hacke, Universität Bonn
• Prof. em. Dr. August Pradetto, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg
• Prof. Dr. Conrad Schetter, Universität Bonn und Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies (bicc – Bonn International Centre for Conflict Studies)
• Prof. Dr. Klaus Schlichte, Universität Bremen
• Prof. em. Dr. Dieter Segert, Universität Wien
• Brigadegeneral a.D. Reiner Schwalb
• Prof. em. Dr. Michael Staack, Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg
• Oberst a.D. Ralph Thiele, Publizist
• Prof. Dr. Johannes Varwick, Universität Halle-Wittenberg und Präses des Wissenschaftlichen Forums Internationale Sicherheit (WIFIS)
• Prof. em. Dr. Elmar Wiesendahl, eh. Direktor an der Führunsakademieder Bundeswehr in Hamburg
• Prof. em. Dr. Herbert Wulf, eh. Direktor des Bonn International Centre for Conflict Studies (bicc – Bonn International Centre for Conflict Studies)
Das bicc ist ein unabhängiges internationales Forschungsinstitut, das sich der Forschung und Politikberatung zu den Bedingungen, Dynamiken und Folgen gewaltsamer Konflikte widmet, um einen Beitrag für eine friedlichere Welt zu leisten. Das bicc wurde 1994 mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen gegründet und ist Mitglied der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft.