Politik
Agieren des Rechtsstaats unter Pandemie-Bedingungen
Berlin 04.11.2025
– Welche Herausforderungen auf einen Rechtsstaat zukommen, wenn er Krisenmanagement im Schatten einer Pandemie zu stemmen hat – diesem Thema widmete sich die Enquete-Kommission „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“ des Bundestags in ihrer dritten Sitzung am Montag.
Unter dem Titel „Der Rechtsstaat unter Pandemiebedingungen: IfSG, Grundrechte und Eigenverantwortung“ wurden verschiedene Sachverständige angehört. Es ging darum, erste Schlussfolgerungen zu ziehen, gerade mit Blick auf Entscheidungen, die Freiheitsrechte einschränken. „Demokratische Legitimierung“ und „mehr Daten“ waren zwei Schlagworte, die Alena Buyx formulierte. Die ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates bilanzierte, es sei während der Corona-Pandemie wenig Gebrauch von lokalen Lösungsempfehlungen gemacht worden. Ferner empfahl sie einen besonderen Schutz von vulnerablen Gruppen und mehr Ressourcen für die Institutionen. „Im Rückblick wurde überzogen“, sagte die Professorin für Medizinethik mit Blick auf die Schließungen von Kitas, Schulen und Unis. „Wir schulden der jungen Generation etwas.“
„Wir müssen schauen, dass wir für die nächste Pandemie besser aufgestellt werden“, sagte die Sachverständige Anika Klafki. Dies sei auch ein Gebot der Effektivität in der Krisenbekämpfung. Zum Beispiel seien Corona-Schutzverordnungen teils 40 Seiten lang gewesen. „Das ist für einen juristischen Laien nicht zu durchdringen“, sagte die Juniorprofessorin für Öffentliches Recht an der Uni Jena. Das damalige Infektionsschutzgesetz (IfSG) sei nicht auf eine Pandemie ausgerichtet gewesen. Damit brachte die Rechtswissenschaftlerin auch die Möglichkeit eines neuen Gesetzes in die Debatte ein.
Der Sachverständige Karl Albrecht Schachtschneider setzte ein Fragezeichen hinter die Verfassungsmäßigkeit zahlreicher damaliger politischer Entscheidungen. In seiner rein verfassungsrechtlichen Argumentation sagte der ehemalige Professor für Öffentliches Recht an der Uni Erlangen-Nürnberg, bei der Infektion habe es keinen Schaden gegeben, sondern eine Erkrankung. „Es besteht nur die Befürchtung, aber keine Gefahr“, umriss er den damaligen Ausgangspunkt für die handelnde Politik und plädierte für die Einführung einer Notstandsregelung. „Deutschland hat keine Notstandsverfassung. Ohne diese seien Maßnahmen “alle einschlägigen Grundgesetze verletzend„.
Karsten Schneider nahm eine weniger kritische Haltung zur Rechtsgrundlage ein. “Die Corona-Pandemie hat den Rechtsstaat nicht verändert„, sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Uni Mainz. “Er musste handeln, da die Daten unsicher waren.„ Gerade der Umgang mit Unsicherheit müsse möglichst präzise sein, sagte er und umriss ein Spannungsfeld: “Ein Grundrechtsopfer ist sicher erfahrbar. Die Abwendung der Gefahr bleibt unsicher.„
Ähnlich argumentierte Stephan Rixen. “Es war auch nicht alles schlecht, es braucht einen differenzierenden Blick.„ Anfangs sei das IfSG zu offen gewesen. Aber der Bundestag habe nachjustiert, “das war ein guter Weg.„ Der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Köln warb dafür, sich für die Pluralität der Wissensgewinnung einzusetzen. Vertreter etwa der Erziehungswissenschaft oder anderer soziale Aspekte “hätten stärker berücksichtigt werden sollen„.
“Das Recht hat in der Pandemie eine vergleichsweise geringe Rolle gespielt„, sagte Oliver Lepsius. Der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster sagte, der Bundestag sei dabei das sensibelste Organ gewesen. “Grundrechtliche Aspekte wurden stark formuliert, mehr als bei den Bund-Länder-Runden.„ Ein großes Problem von Exekutiv-Gremien sei, dass sie nicht repräsentativ zusammengesetzt seien. “Man darf auch keine Experten-Herrschaft einführen. Bei Abwägungsentscheidungen sind sie schlechte Ratgeber.„
Expertin Klafki machte daraufhin den Vorschlag, Maßnahmen auszudifferenzieren. “Was ist eine Reisebeschränkung, was ist ein Besuchsverbot?„, führte sie an. Krisenstäbe würde sie eher auf Länderebene sehen. Und Experte Schneider pflichtete ihr bei: “Das Normprogramm muss differenziert werden für die nächste Pandemie.„ Man brauche plural besetzte Corona-Beiräte, “die sollte man nicht ad-hoc einsetzen, sondern frühzeitig, dauerhaft einführen„. Der Sachverständige Lepsius warf ein, man habe einen Mangel an Empirie gehabt. Aber: “Unwissen kann über drei Jahre nicht als Rechtfertigungsgrund angeführt werden.„ Gewisse Parameter der Empirie seien nicht berücksichtigt worden, sagte er mit Blick auf die unterschiedlichen Risiken, denen unterschiedliche Altersgruppen bei COVID-19 ausgesetzt waren. Klafki schloss: “Wir brauchen konzeptbasiertes Handeln.„