Berlin
Seyni Awa Camara, Le lion (gayndé)
Berlin 01.03.2025
Seyni Awa Camara wurde in Casamançe im Senegal der 1940er Jahren als Drilling geboren und verschwand, einer geheimnisvollen und göttlichen Initiation folgend, mit ihren Geschwistern mehrere Tage lang im Wald, bis ihre Familie aufhörte, nach ihnen zu suchen. Als sie zurückkamen, hielt Camara Erdklumpen in den Händen. Von diesem Moment an begann sie, mit Ton zu arbeiten.
So lautet die Legende. Der Ort ist real. Der Wald existiert. Doch die Erfahrung des kleinen Mädchens ist schwieriger wahrzunehmen und mit Genauigkeit zu beschreiben. Was steckt hinter der Geschichte des kleinen Mädchens, das im Wald verloren ging – und nicht gefunden wurde? Mehrlingsgeburten nehmen in der kollektiven westafrikanischen Vorstellungswelt und Kosmogonie einen wichtigen Platz ein. Es gibt noch immer eine Wahrnehmung der Welt als „doppelt“: die sichtbare Welt ist die der Menschen und die unsichtbare Welt die der Geister, Götter und Vorfahren.
Seyni Awa Camara knüpft in ihrem Schaffen bewusst an die eigene Kultur und Tradition an. Als Kind wird sie von ihrer Mutter in die traditionellen Töpfertechniken eingeweiht, entfernt sich aber schon früh vom utilitaristischen Charakter von Terrakottaobjekten, um ihre künstlerische Praxis voranzutreiben. Frei davon, irgendwelchen westlichen Kunstansprüchen zu genügen, bezieht sie sich ausschließlich auf ihre Wurzeln.
Sie greift auf alte Techniken zurück und entwickelt daraus einen zeitgenössischen, senegalesischen Bezug. Ihre Monsterkreationen, wie auch Le lion, die Träumen und der Fantasie entstammen, sind von einer Mystik durchdrungen, die den animistischen Geistern und Praktiken des ruralen Senegals eigen ist. Ihr Bestiarium ist bevölkert von fantastischen, häufig hybriden Kreaturen, die mehrere Menschen- oder Tierkörper verschmelzen lassen, und oft Themen wie Mutterschaft und Sexualität befragen.
Seyni Awa Camaras Werke sind zeitlos.
Seit Camara 1989 in Paris mit der Ausstellung Les magiciens de la terre (Die Magier der Erde) von Jean-Hubert Martin im Centre Pompidou, Paris der internationalen Kunstszene bekannt wurde, ist ihr Werk weltweit gefragt. 2006 war sie Teil der Ausstellung
100% Africa im Guggenheim Museum, Bilbao und 2001 wurden Camaras Skulpturen auf der von Harald Szeemann kuratierten Biennale in Venedig ausgestellt. 2017 folgt die Einladung zu einer Gruppenausstellung in der Fondation Louis Vuitton in Paris.
Abbildungen
Seyni Awa Camara, Le lion (gayndé), 1983, Terrakotta 63 x 25 x 50 cm. Foto: Jörg von Bruchhausen
Galerie Michael Haas
Niebuhrstraße 5
10629 Berlin