Politik

Pressestimmen zum Rückzug von Brosius-Gersdorf als Kandidatin für das Verfassungsgericht

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Berlin 08.08.2025

Eine Kluft in der Regierungskoalition zwischen CDU und SPD – wird sie noch größer werden?

Die Ankündigung der SPD-Grünen-Kandidatin, Richterin Frauke Brosius Gersdorff, ihren Rückzug aus der Nominierung von Grünen und Sozialdemokraten für einen Sitz im Verfassungsgerichtshof mag eine kurze Atempause in der anhaltenden Kontroverse um die Richterin zwischen den beiden Parteien der Bundesregierung, den SPD und den CDU, sein.

Es ist jedoch kein Aufatmen, und der Rückzug der Richterin aus dem Kampf um den Sitz im Verfassungsgerichtshof bedeutet keinen Sieg für den Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag, den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn, für seinen Widerstand gegen die Wahl der Richterin zum Verfassungsgericht. Die Kluft zwischen den Koalitionspartnern hat begonnen, sich zu vertiefen und vertieft sich langsam. 

Niemand weiß, ob die seit 100 Tagen bestehende Koalition vier Jahre lang halten wird.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt: „Damit findet ein Schauspiel ein Ende, in dem sie sich wiederfand, seit die Union ihrer Wahl zur Richterin zunächst zustimmte, um sie dann abzulehnen. In der Erklärung ihres Rückzugs geht allerdings auch bei Brosius-Gersdorf einiges durcheinander. So findet sie, ihre Nichtwahl aufgrund des Satzes, die Menschenwürdegarantie gelte erst ab Geburt, sanktioniere – also bestrafe – die Wissenschaftsfreiheit. Ähnlich verstiegen ist die Behauptung, Journalisten dieser Zeitung hätten eine ehrabschneidende Kampagne gegen sie geführt. Wer sich auf seine eigene Rationalität und Wissenschaft so viel zugutehält, sollte selbst in einer schwierigen Situation nicht blind um sich schlagen“, kritisiert die F.A.Z.

„Zu diesem Streit hätte es nie kommen dürfen“, meint die KÖLNISCHE RUNDSCHAU: „Brosius-Gersdorf hatte sich schon zu Zeiten der Ampel-Koalition im Zusammenhang mit dem damaligen Vorhaben, den bisherigen Paragrafen 218 zu kippen, in einer Weise exponiert, die für viele Unionsleute schwer erträglich war. Wenn die SPD die Potsdamer Professorin trotzdem – oder gerade deshalb – vorschlagen wollte, war das nicht klug. Fraktionschef Spahns Aufgabe wäre es aber gewesen, früh, während der vertraulichen Vorabklärung, Stopp zu sagen. Das hat er versäumt, und Kanzler Merz hat seine Parteifreunde erst recht provoziert, als er die Frage, ob er Brosius-Gersdorf mitwählen würde, ohne jede Einordnung platt bejahte“, erläutert die KÖLNISCHE RUNDSCHAU ihre Sichtweise.

Nach Einschätzung der TAZ geht der Rückzug von Brosius-Gersdorf für das Amt der Verfassungsrichterin auf das Konto einer rechten Hetzkampagne: „Und der Nährboden für diese Stimmungsmache lag nirgends sonst als in der Unionsfraktion. Mutwillig verbreiteten CDU- und CSU-Abgeordnete die haltlosen Diffamierungen Brosius-Gersdorfs und verhalfen so den selbsterkorenen ‚Lebensschützern‘, den kirchlichen Fundamentalisten und illiberalen Kräften zu einem Erfolg im Parlament. Es ist die Stunde der Antifeministen, und sie haben Blut geleckt. Die Potsdamer Rechtsprofessorin hat sich entschieden, ihren Kopf nicht mehr für die unerbittliche Kampagne der organisierten Abtreibungsgegner hinzuhalten. Das ist so bitter wie nachvollziehbar“, stellt die TAZ fest.

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist von einem „politische und gesellschaftlichen Totalausfall“ die Rede: „Frauke Brosius-Gersdorf ist Opfer geworden einer beispiellosen Hetzkampagne, wie man sie mit diesen konkreten politischen Folgen in Deutschland wohl bisher nicht erlebt hat. Rechtspopulistische Medien und Aktivisten haben es in einer gemeinsamen Desinformationskampagne geschafft, das Zerrbild einer linksradikalen Juristin zu schaffen, die zu extreme Thesen vertrete für das höchste deutsche Gericht. Dass diese Darstellung nichts gemein hatte mit der Realität, ist in den vergangenen Wochen umfassend beschrieben worden“, hebt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hervor.

Die SÜDWEST PRESSE aus Ulm analysiert, „dass es vor allem die katholische Kirche war, die in der Union darum warb, Brosius-Gersdorf nicht zu wählen“. „Das ignorierten die Sozialdemokraten, wohl auch um den Koalitionspartner in die rechte Ecke stellen zu können. Dass der schwarz-rote Scherbenhaufen noch größer wird, das hat Brosius-Gersdorf mit ihrem Rückzug verhindert. Doch dürfte der Schaden auch so groß genug sein. Schon vorher gab es viele Abgeordnete in der SPD-Fraktion, für die eine Zusammenarbeit mit der Union von Spahn, Kanzler Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder eine gigantische Zumutung darstellt. Und auch in der Unionsfraktion glauben viele nicht, mit den in vielen Wahlen massiv geschwächten und durch und durch verunsicherten Sozialdemokraten eine Koalition führen zu können. Was das Bündnis zusammenhält, sind derzeit ihre Spitzen, Merz und SPD-Chef Lars Klingbeil. Auf sie kommt es nun an, dass die Risse der vergurkten Richterwahl nicht das Fundament der gesamten Koalition sprengen“, warnt die SÜDWEST PRESSE.

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