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GFFA 2025: Fossil war gestern – für eine nachhaltige biobasierte Wirtschaft

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Bioökonomie im Fokus – Rund 2.000 internationale Expert:innen diskutierten in Berlin über nachhaltige Lösungen für Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Klimaschutz.

Berlin 21.01.2025

Unser derzeitiges Wirtschaftssystem ist in weiten Teilen von fossilen Rohstoffen abhängig. Das verschärft die Klimakrise und damit die globale Ernährungsunsicherheit. Die meisten Expertinnen und Experten sind sich einig, dass einer biobasierten Wirtschaft, subsumiert unter dem Begriff „Bioökonomie“, die Zukunft gehört. Einer Wirtschaftsweise also, die auf der Verwendung nachwachsender Rohstoffe fußt und die – bei richtiger Umsetzung – nicht nur Klima, Umwelt und Biodiversität schützt, sondern auch Einkommensperspektiven schaffen kann. Doch welche Faktoren machen eine nachhaltige Bioökonomie aus, und wo liegen die Stolpersteine in deren Umsetzung? Diese Fragen standen im Zentrum des 17. Global Forum for Food and Agriculture (GFFA). Etwa 2.000 internationale Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft trafen sich vom 15. bis 18. Januar in Berlin, um auf über 20 Fachveranstaltungen und High Level Panels mit rund 120 Podiumsgästen zu diskutieren und sich auf dem GFFA-Innovationsforum über zukunftsweisende Projekte und praktische Lösungsansätze zu informieren. Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Indien, Ghana, den Niederlanden und Deutschland stellten beim GFFA Science Slam ihre Forschungsergebnisse zur nachhaltigen Umgestaltung der Agrar- und Ernährungssysteme vor, und junge Landwirtinnen und Landwirte aus der ganzen Welt formulierten auf dem Internationalen Junglandwirteforum ihre Forderungen an die Politik. 

Wir kommen in Berlin zusammen, weil wir wissen: Die großen Herausforderungen unserer Zeit – die Klimakrise, das Artensterben, Kriege und Konflikte – lassen sich nur gemeinsam lösen.“ Mit diesen Worten eröffnete Claudia Müller, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, die Konferenz. Sie erinnerte daran, dass die Hälfte der globalen Wertschöpfung auf einer intakten Umwelt – mit Artenvielfalt, gesunden Böden und sauberem Wasser – basiert. Dennoch würden jährlich öffentliche Subventionen in Höhe von 1,7 Billionen US-Dollar für eine Wirtschaftsweise eingesetzt, die genau diese Ressourcen zerstört. „Wenn wir so weitermachen, sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen“, mahnte Müller und forderte eine Umkehr hin zu einer Wirtschaftsweise, die Ökologie und Ökonomie besser in Einklang bringt. 

„Die Bioökonomie kann die Wirtschaft entscheidend verändern“, zeigte sich Julius Ecuru, Leiter der Initiative BioInnovate Africa und Co-Vorsitzender des Internationalen Bioökonomierates (IACGB), überzeugt. Mit ihr könne die Landwirtschaft nachhaltiger und wirtschaftlicher werden. Gerade für Afrika, das von kleinbäuerlicher Subsistenzlandwirtschaft geprägt ist und zugleich über eine enorme biologische Vielfalt verfügt, biete sie große Chancen, nachhaltige Wertschöpfungsketten aufzubauen. Voraussetzung sei eine enge Zusammenarbeit von Forschung, Industrie und Regierung, die auch die Vielzahl der Kleinst- und Kleinunternehmen auf dem Kontinent einbezieht.

Éliane Ubalijoro, Geschäftsführerin des Center for International Forestry Research and World Agroforestry (CIFOR-ICRAF), führte vor, wie eine biobasierte Wirtschaft nicht nur den Wohlstand, sondern auch den Frieden fördern kann. Etwa in Uganda. In dem ostafrikanischen Land leben fast 1,5 Millionen Geflüchtete, hauptsächlich aus Krisenländern wie Südsudan, der Demokratischen Republik Kongo und Burundi. „Zirkuläre Bioökonomie-Lösungen können helfen, den sozialen und ökonomischen Druck in den Flüchtlingssiedlungen zu verringern“, so Ubalijoro. Als Beispiel nannte sie Agroforstsysteme, bei denen der Anbau von Gemüse in Hausgärten mit dem Pflanzen von Bäumen kombiniert wird. Damit ist die Ernährung und zugleich die Energieversorgung der Geflüchteten gesichert. Das Holz der Bäume kann zudem als Baustoff verwendet werden. 

Ein wichtiger Schritt hin zu einer kreislauforientierten Bioökonomie ist es, Lebensmittelverluste zu senken. Denn rund ein Drittel aller produzierten Lebensmittel weltweit landen nicht auf den Tellern der Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern im Müll. Dadurch werden wertvolle Ressourcen wie Boden und Wasser, aber auch Arbeitskraft und Betriebsmittel verschwendet. Zudem sind die Lebensmittelverluste für rund zehn Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Damit stehen sie, als „Land“ betrachtet, an dritter Stelle hinter China (knapp 28 % der Emissionen) und den USA (knapp 14 %). „Gelingt es uns nicht, die Lebensmittelverluste zu senken, werden wir weder unsere Klimaziele erreichen noch den Hunger in der Welt eliminieren“, sagte Kaveh Zahedi, Leiter des Büros für Klimawandel, Biodiversität und Umwelt der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) auf dem High Level Panel der FAO

Dies bestätigte auch die Kommissarin der Afrikanischen Union (AU) für ländliche Wirtschaft und Landwirtschaft, Josefa Sacko. Lebensmittel im Wert von 4 Milliarden US-Dollar würden in Afrika südlich der Sahara jährlich verloren gehen. Schuld sind zum großen Teil unzureichende Lager- und Kühlmöglichkeiten sowie fehlende Verarbeitungseinrichtungen. Die beste Maßnahme, diese Verluste zu senken, sei die Hinwendung zu einer Kreislaufwirtschaft. Mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union hat die AU eine entsprechende Strategie für den Kontinent ausgearbeitet. Doch um diese umzusetzen, müssten die Länder technisch und finanziell unterstützt werden, forderte die AU-Kommissarin.

Rund 200 bis 400 Milliarden US-Dollar wären jährlich nötig, um die erforderliche Transformation der globalen Agrar- und Ernährungssysteme umzusetzen, rechnete Shobha Shetty, Global Director Agriculture and Food Global Practice bei der Weltbank, vor. Diese Summe könne aus öffentlichen Mitteln allein nicht bereitgestellt werden – die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor sei unumgänglich. Für die Ministerin für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Albaniens, Anila Denaj, spielt die Harmonisierung von Politiken eine entscheidende Rolle. Aufgrund unterschiedlicher Zuschnitte und Zuständigkeiten der Ministerien lasse sich diese jedoch sowohl innerhalb des Landes als auch länderübergreifend schwer umsetzen. „Wir sehen in der EU-Integration den einzigen Weg nach vorne“, sagte die Ministerin des EU-Beitrittskandidaten. Als weiteren wesentlichen Baustein zur Eindämmung der Lebensmittelverschwendung nannte sie die Bewusstseinsbildung bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. 

„Für uns ist das Management von Lebensmittelverlusten eine Frage des Überlebens“, verdeutlichte der Minister für Agrarpolitik und Ernährung der Ukraine, Vitaliy Koval. Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wurden in dem Land Lagerkapazitäten für Millionen Tonnen Getreide und auch die größten Lagerräume für Gemüse zerstört. Dies habe sich nicht nur negativ auf die Qualität der Lebensmittel ausgewirkt, sondern auch zu einer massiven Nahrungsmittelpreisinflation geführt. „Alle Länder sollten darauf hinarbeiten, dezentrale Lager- und Kühlinfrastruktur für Lebensmittel aufzubauen, um die Ernährungssouveränität zu sichern, einen Anstieg der Lebensmittelpreise zu verhindern und so ihre vulnerablen Bevölkerungsgruppen zu schützen“, so der Minister.

Jedes Land hat andere Ausgangsbedingungen und steht damit auch vor anderen Herausforderungen bei dem Ziel, die Bioökonomie voranzubringen und nachhaltig zu gestalten. Wie wichtig dabei Forschung, Innovation und Wissensaustausch sind, wurde im Verlauf der Konferenz mehr als einmal betont. „Wir fokussieren uns auf praktische Innovationen, die den Landwirten direkt zugute kommen“, sagte der philippinische Vize-Agrarminister Christopher V. Morales auf dem High Level Panel des Inter-American Institute for Cooperation on Agriculture (IICA). Ziel sei es, die Landwirtschaft inklusiver, intelligenter, effizienter und umweltfreundlicher zu machen. Dies gelte vor allem für das Grundnahrungsmittel Reis, dessen Pro-Kopf-Verbrauch in dem 116-Millionen-Einwohnerland bei 120 Kilogramm jährlich liegt. Als Beispiel nannte Morales wassersparende, solarbetriebene Bewässerungsanlagen und den Einsatz von Drohnen, aber auch die Züchtung von Hochertragssorten und die „Umwandlung von Müll zu Werten“, etwa über die Herstellung organischer Düngemittel aus Reis- und Kokosschalen. 

Auch für Europas Gemüsegarten Spanien mit seinen ausgeprägten Trockenperioden sind wassersparende Lösungen, beispielsweise die Nutzung von recyceltem Wasser, ein entscheidender Baustein auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der Lebensmittelproduktion, berichtete Agrarminister Luis Planas Puchades. Um den Einsatz chemisch-synthetischer Pflanzenschutz- und Düngemittel zurückzufahren, erprobe das Land zudem den Einsatz von Algen als sogenannte Biostimulanzien. Das südamerikanische Uruguay, für das Rindfleisch eines der wichtigsten Exportprodukte darstellt, benötigt hingegen vor allem Technologien, mit denen sich die Methan-Emissionen aus der Rinderhaltung senken lassen, so Uruguays Landwirtschaftsminister Fernando Mattos Costa

„Wie in vielen anderen afrikanischen Ländern ging es bei uns in der Vergangenheit vor allem darum, möglichst viel zu produzieren. Jetzt sehen wir die Folgen der Übernutzung unserer wertvollen Ressource Boden, auch durch gefährliche Chemikalien. Wir müssen dringend in deren Rehabilitation investieren“, sagte der Agrarminister Südafrikas, John Steenhuisen. Die Wiederherstellung degradierter Böden ist auch ein Thema, das Pedro Neto, Staatssekretär im brasilianischen Landwirtschaftsministerium, umtreibt. Die Ursachen sind vor allem in der Überweidung und der massiven Abholzung der Wälder zu suchen. Seit dem erneuten Amtsantritt von Luiz Inácio Lula da Silva als Präsident im Januar 2023 wurden verschiedene Gesetze auf den Weg gebracht, die illegale Abholzung eindämmen sollen, unter anderem durch alternative Einkommensmöglichkeiten für arme Bevölkerungsgruppen. Im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft hat Brasilien zudem eine globale Bioökonomieinitiative ins Leben gerufen. 

Den politischen Höhepunkt des GFFA bildete die 17. Berliner Agrarministerkonferenz, bei der sich Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir mit 62 Amtskolleginnen und -kollegen aus aller Welt sowie Vertreterinnen und Vertretern von 14 internationalen Organisationen austauschte. „Noch immer geht jeder zehnte Mensch auf der Welt hungrig zu Bett. Kriege und Konflikte wirken wie ein Brandbeschleuniger für Hunger; Hunger wiederum erstickt Frieden – ein teuflischer Kreislauf“, sagte Özdemir zum Abschluss der Konferenz. Scharf kritisierte der Minister den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Hunger als Waffe einzusetzen ist völkerrechtswidrig“, mahnte er – auch mit Blick auf andere Krisengebiete. Damit auch in Zukunft sichere Ernten möglich seien, bräuchten unsere Agrar- und Ernährungssysteme ein „umfassendes Update“. In diesem Zusammenhang lobte Özdemir die Bioökonomieinitiative Brasiliens und begrüßte die Ankündigung seines südafrikanischen Amtskollegen, den eingeschlagenen Weg – inklusive der Globalen Allianz gegen Hunger und Armut – auch unter Südafrikas G20-Präsidentschaft fortzuführen. Zudem versprach er, die Anliegen der Junglandwirte ernst zu nehmen. Sie hatten in ihrer Erklärung unter anderem ihre Sorge ausgedrückt, dass die Bioökonomie, wie sie vor allem von den Industrieländern vorangetrieben werde, bestehende Ungleichheiten in den Ländern des globalen Südens eher verfestige als beseitige. Unternehmensinteressen dürften die Rechte der Kleinbauern und der lokalen Bevölkerung – etwa beim Zugang zu Land und anderen Ressourcen – nicht aushebeln, so ihre Forderung. 

In ihrer Abschlusserklärung bekennen sich die Agrarministerinnen und -minister zum Pariser Klimaabkommen und zur Biodiversitätskonvention. Sie unterstützen das von Deutschland geförderte Projekt der FAO zum Aufbau einer globalen Bioökonomie-Partnerschaft, mit der die Zusammenarbeit über die bestehenden G20-Strukturen hinaus gefördert und ein kohärenter globaler Ansatz für eine nachhaltige Bioökonomie geschaffen werden soll. Die Ernährungssicherung müsse dabei stets Priorität besitzen. Wissenschaft, Technologie und Innovation, Ausbildung, Kommunikation und sektorübergreifende Zusammenarbeit werden im Kommuniqué als entscheidend für eine nachhaltige Bioökonomie genannt, ebenso die Anerkennung des traditionellen Wissens und kulturellen Erbes. Wichtig sei zudem der Zugang zu Finanzmitteln, vor allem für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Jungunternehmer, Frauen, indigene Völker und lokale Gemeinschaften.

Foto: GFFA

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